Donnerstag, 10. Juli 2025

Politik ist das Managen von Ambivalenz. Und Köln ist Weltmeister darin.


Politik bedeutet oft, sich in Räume vorzuwagen, in denen die Zielkonflikte so groß sind, dass eigentlich gar nichts mehr geht.

Aber dann kommt Köln um die Ecke und sagt: „Mach dir nix draus, mir kriege dat schon hin.“

Nirgendwo zeigt sich das besser als am größten Wirtschaftsfaktor dieser Stadt: dem Kölner Dom.

Alles eine Frage der Perspektive und des Strahlengangs


Der Kölner Dom – Wirtschaftswunder mit Fragezeichen

  • bis zu 8 Millionen Besucher jährlich (vor Corona)

  • jährlich über 120–150 Mio. € Wirtschaftswert (Tourismus, Gastronomie, Handel, Spenden)

  • seit Jahrhunderten der Geldmagnet Kölns – alles wegen ein paar Knochen.

Denn der Grundstein für diesen Wirtschaftssegen liegt in einer, sagen wir mal, nicht ganz legalen Aktion.


Blick auf die weltgrößte Freiluft-Austellung für Vorhängeschlösser


Kölns schönster Kunstraub

Im Jahr 1164 ließ Erzbischof Rainald von Dassel in Mailand die Reliquien der Heiligen Drei Könige verschwinden.

Offiziell nannte man das „Übergabe an die Kirche“. Juristisch war’s: Raub.

Heute würde man es ganz trocken einordnen: Raubkunst.


Googles Foto K.I. sagt, dieses Archivbild sei der Mailänder Dom. Dann muss das wohl stimmen. 
Grüße gehen raus ans Energeticon in Alsdorf. Ihr habt noch frecher gerau...ähh...geregelt als Köln.


Der Zielkonflikt

Rechtlich müsste Köln die Gebeine längst zurückgeben. Moralisch auch.

Damit eigentlich ein Fall, mit dem sich Dassels Rechtsnachfolger, Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki, an die in meinen Augen großartigste und schönste Straftverteidigerin Kölns wenden müsste.

Aber der Kölner regelt das anders.

Nachfolgerin des Römischen Reiches ist die Republik Italien. Und die nördlichste Millionenstadt Italiens ist Köln. 

Schließlich leitet sich der Name Köln von „Colonia“ ab.  Sie wurde im Jahr 50. nach Christus (oder 38. vor Christus..die KVB-Historiker recherchieren noch im alten Stadtarchiv) als römische Stadt mit dem Namen "Colonia Claudia Ara Agrippinensium" gegründet. Das bezeichnete einfach allgemein eine römische Siedlung außerhalb Roms. Eine Kolonie Italiens eben. Das Stadtname ist somit sprachlich und rechtlch italienisch.

Und eine italienische Stadt muss ja wohl keine Knochen nach Mailand zurückgeben.“ 

Problem gelöst.

Fun Fact: Die Verwaltungsvorlage zum Ersetzen des damaligen Arbeitstitels "Stadt" (Colonia) ist noch in Bearbeitung. Man testet auf Anraten des Stadtmarketings lieber erst die Reaktion auf die Umbenennung von Sub-Brands wie "Spielplatz" . Klappt das gut, skaliert man hoch. Agiles Rapid Prototyping einer modernen Stadtregierung. Ich weiß gar nicht, warum sich soviele aufregen (Ganz im Ernst: Denke ich wirklich, weil der Entstehungsprozess höchst demokratisch und bürgerorientiert war, aber das wird ein eigener Artikel).


Projektionsfläche vieler Wünsche und Träume. Hier für den Traum nach Frieden in der Welt - 100 Jahre nach Ende des 1. Weltkrieges.

Die kölsche Rechnung

Rückgabe? Im Gegenteil! Der Kölner könnte sogar noch Geld verlangen.

Rechnen wir das mal durch:

  • Raub...äh...Inobhutnahmejahr: 1164

  • Heute: 2025 → 861 Jahre

  • Tage: 861 × 365 = 314.265 Tage

  • Schließfach Hbf Köln: ca. 6 € pro Tag (Premium-Lagerbox Dreikönigsschrein kostet eigentlich extra, aber dank Pride und Prime Day gibt's mal Rabatt)

1.885.590 € Lagergebühr.

Mailand darf gerne überweisen.

Das Haushaltssicherungskonzept ist nicht ganz abgewendet, aber fast. Die Stadtkämmerin Dr. Dörte Diemert dankt.




Das kölsche Fazit

Aber wahrscheinlich läuft’s so:

Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker und Kulturdezernent Stefan Charles denken im Brauhaus Sünner im Walfisch über einem Brauhaus Kotelett kurz über die Rechnung nach. Inkasso ist relativ aufwendig und der damalige Aufbewahrungsvertrag lag im alten Stadtarchiv.. Das darf die nächste Stadtregierung ab Oktober 2025 regeln.

So gibt’s halt das 314.266. Strichlein auf dem Bierdeckel Mailands – und der Köbes, traditionell ein sich Köln verdingender der Pilger auf dem Jakobsweg, schenkt einfach das nächste Kölsch aus.

Prost.

So geht Ambivalenzmanagement.

Und das nennt sich dann Politik.


Über den Autoren und Fotografen:

Attila Radnai lebt und arbeitet in und für Köln. Er hat ach! Politikwissenschaft durchaus studiert mit heißem Bemühn im heißen Berlin. Seine Leidenschaften sind Geschichte, Zahlen und das kölsche Grundgesetz. Seit 2025 gehört er zum erlauchten Kreis der "Fußgruppen-Finisher des Rosenmontagszuges". Als unerschütterlicher Optimist glaubt er fest daran, dass die größten politischen Fragen oft nur auf eine Antwort hinauslaufen: „Et hätt noch immer jot jejange.“. 


Der Autor bei der Undercover Recherche für diesen Beitrag. Getarnt als DHL-Bote im Kölner Hauptbahnhof. Hybrider Wallraff-Style. Zur Hälfte investigativ wie Günter Wallraff, zur Hälfte kunsthistorisch wie Franz-Ferninand Walraff, Sammlungsstifter des Wallraff-Richartz-Museums.



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