Samstag, 27. Juni 2015

Nur kostenloses Internet? Alles kostenlos!

In diesem Blogpost zeige ich mich begeistert, dass immer mehr Initiativen sich um Netzzugänge für alle Bürger bemühen. Dagegen zeige ich aber auch erschüttert auf, dass wir mit der Forderung nach kostenlosem Internet für dumm verkauft werden.
Frühe Shareconomy. Leider nicht kostenlos.

Am 24.06.2015 gab es eine gemeinsame Entschließung der Fraktionen von SPD, Grünen und Piraten im Landtag NRW zum Thema Freifunk. Dazu erklärt die SPD Landtagsfraktion auf Ihrer Website: "Freifunk in Nordrhein-Westfalen: Bürgernetze ausbauen und weiter stärken (...) Dabei handelt es sich vor allem um kostenloses Internet - immer und überall. 

In der detaillierteren Drucksache 16/8970 steht sogar explizit:
Der Landtag fordert die Landesregierung vor diesem Hintergrund auf: (..,) Freifunk-Initiativen in den kommenden Jahren finanziell beim Aufbau einer zukunftsfähigen technischen IT-Infrastruktur zu unterstützen.


Eigentlich eine coole Idee und etwas, das ich in einer ähnlichen Form auch selber jahrelang beim Studium an der Freien Universität Berlin nutzen konnte (hach ja, die gute, alte Zentrale Datenverarbeitung ZEDAT). So werden Wissen, Informationen im Netz frei und offen teilbar.

Also alles supi im Freifunk-Neuland?



Leider nicht ganz. Es gibt ein Problem. 


Damit ich hier im Blog nicht immer als Telekom-Basher rüberkomme, lasse ich sie diesmal vor meiner Analyse mal den Inhalt dieses Blogposts im Video vermitteln. Wer kein Breitband hat oder Video mag, kann einfach weiterlesen.


Für mich wirkt das Dilemma noch schwerer als für andere. Ich bin nämlich SPD-Mitglied und war in den 90er Jahren dort auch netzpolitisch aktiv. Damals saßen wir mit der heutigen Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles beim Arbeitskreis "Medien und Kommunikation" zusammen und formulierten zukunftsweisende Anträge an die SPD-Bundesparteitage. Darin ging es um digitale Teilhabe für die gesamte Bevölkerung. Ein Ziel, dass ich als überzeugter Demokrat mit stark sozialer Prägung immer noch teile.

Allerdings habe ich ein Problem mit dem eingeschlagenen Weg. Das liegt sicher daran, dass ich nicht Berufspolitiker geworden bin, sondern in der Internet- und Telekommunikationsbranche gelandet bin.
Heute bin ich Produktmanager für Breitband-Internet beim ITK-Anbieter QSC AG. Ich baue damit heute die Internetzugänge, die ich damals gefordert habe. Schon ziemlich cool.


Dazu entwerfe und analysiere ich Geschäftsmodelle (z.B. per Value Proposition Design oder CANVAS-Analyse), damit ich Wiederverkäufern und Endkunden bestmögliche Dienste zu einem guten Preis liefern kann. Aber ich scheine ein schlechter Produktmanager zu sein. Denn ich habe noch kein nachhaltiges Modell gefunden, das dauerhaft "kostenloses Internet - immer und überall" ermöglichen würde. 

Dagegen habe ich eine andere Grundregel des Lebens verinnerlicht:
 "There ain't no such thing as a free lunch."
Oder als deutsches Sprichwort: 
Umsonst ist nicht einmal der Tod, denn der kostet das Leben.
"Sind denn nicht Facebook, GMX und viele andere Webseiten kostenfrei? Komme ich denn nicht über das WLAN bei McDonalds oder Starbucks ein kostenloses Internet? Kannst Du mir das erklären, Frederick?"

Nichts leichter als das, Piggeldy. Komm man (gedanklich) mit:
Wenn Du für das Produkt nichts zahlst, dann tut es jemand anderes. Und dann kaufst Du kein Produkt, sondern bist das Produkt. Bei AT&T in den USA gibt es Highspeed-Internetzugänge mit 1 GBit/s. Diese kosten sogar nur nur 70$. Wenn du allerdings nicht zustimmst, dass sie Dein Surfverhalten im Netz auswerten, musst Du 29$ Aufpreis zahlen. Alleine der Wert Deiner Bewegungsdaten im Netz wird hier also mit 312 $ im Jahr veranschlagt.



Bei "freien" WLAN-Netzen kommerzieller Anbieter ist das nicht anders. Du zahlst also den Zugang über gepimpte Hackfleischbrötchen oder den teuersten Kaffee der Welt Deine Netznutzung mit. Wenn dort nichts kaufst, bezahlen eben andere den Zugang für Dich. Ein etabliertes Geschäftsmodell, das bei den Punkern auf der Kölner Domplatte als "Schnorren" bekannt ist.

"Aber Freifunk und die Freifunk-Vereine sind doch anders!"

Ja. Das sind sie. Und ich bin auch der Überzeugung, dass die Freifunk-Vereine aus lauteren zivilgesellschaftlichem Engagement unterwegs sind.  Wenn ich mir allerdings das "Geschäftsmodell" genauer anschaue, kommen mir Zweifel an der Richtigkeit des Weges.
Chaos Computer Club Cologne funkt frei
Und ich parke frei darunter.
Foto: Warumduscher

Freifunk ist Shareconomy pur.  Klingt erstmal gut und modern.
Privatkunden kaufen die Leistung ein. Sie kaufen allerdings laut der meisten AGB nur eine Internetflatrate für den Eigenbedarf, die den Wiederverkauf ausschließt. Sie kaufen Strom für ihren WLAN-Router. Und dann verschenken sie das ganze weiter. 

Das ist als ob ich bei Pizza-Hut zum All-you-can-eat Abend ginge und dann entweder 200 Facebook-Freunde kostenfrei mitessen lassen will oder mir den Rest von "alles" einpacken lasse. Das macht jede Mischkalkulation kaputt. 

Niemand käme zudem auf die Idee, ein Geschäftsmodell zu fördern, bei dem staatlich subventionierte Stromanschlüsse in Geringsverdiener-Haushalten dafür genutzt werden, damit Manager ihre Tesla-Elektrofahrzeuge kostenlos dort betanken können. Der nächste Schritt wäre, dass die Leute Teslas Batterien mit dem Auto hinfahren würden und nur noch Strom über diesen Weg bezögen. Klingt absurd, oder? 



In Norwegen kommt der Strom aus Wasserkraft.
Da sähe das kommuniale Freistrom-Modell schon wieder anders aus.
Foto: Warumduscher


Aber genau darauf basiert Freifunk. Denn selbst wenn die Router sich lokal im Mesh-Konzept im Peer2Peer Verfahren per WLAN verbinden können - irgendwo übernimmt ein ISP den Traffic und transportiert ihn in seinem Netz. Ich wage zu behaupten, dass der Peer-to-Peer-Traffic im Mesh unter 5% liegt. Die Netzkapzitäten werden jedoch nach zahlenden Usern ausgerichtet. 

Freifunkerin beim Abzapfen von BitStrom

Das ist in meinen Augen nicht netter Tauschring-Handel mit einmal gekauften Waren wie auf dem Kinderflohmarkt, sondern Turbokapitalismus. Man macht ja geschäftsmäßig den Erstverkäufern von Dienstleistungen durch 100% Dumpingpreise den Markt für Zugänge kaputt. Denn ohne die Geschenke müssten sich die trittbrettfahrenden "Cord Cutter" eigene feste oder mobile Zugänge kaufen. Das Verschenken geht nur gut, wenn es im kleinen Rahmen und damit im "Peanuts"-Bereich passiert. Aber wo liegt der? 

Dazu ein Dialog aus Wacken:
"Hallo Frau Müller-Küssberg. Darf ich bei Ihnen mal bitte kurz auf Klo? Mir platzt gleich die Blase""Klar.""Dürfen meine 85.000 Metal-Freunde auch kommen? Die Dixi-Klos auf dem Festivalgelände sind immer so eklig." "Ähhhhh"


Mobil-Toiletten "Royal Flush" im Krüger Nationalpark.
Die saubersten Dixis, die ich je erlebt habe.

Erinnerst Du dich nach soviel Text noch an die Forderung des NRW Landtages? Die Infrastruktur der Freifunker soll gefördert werden. Also ein staatlich finanziertes Klohäuschen im Garten. Na super.

Back to the Future: Verstaatlichung der Produktionsmittel?

the next generation
Foto: Warumduscher
Kostenfreies Internet ohne unlauteren Eingriff in den Markt sehe ich eigentlich nur, wenn Telekom und T-Mobile rückverstaatlicht würden. Dann wäre die Leistung immer noch nicht kostenfrei produziert, aber würde eben aus steuerfinanzierter Umlage bezahlt. Das wäre wettbewerbssystematisch sauber. Aber eben auch ein Staatsinternet wie damals Bildschirmtext (BTX) oder das Internet in Nordkorea. Hmm...will ich das?
Mit gleicher Rückverstaatlichungsmaßnahme könnte man auch den Streiks bei Bahn und Post begegnen. 
Hmm...wollen wir das?


Think globally, act locally

Ich finde einen Mittelweg sinnvoller. Durch Förderung dezentraler Netzinitiativen sollten viele kleine regionale Glasfasernetze entstehen, die wie die Strom-, Gas- und Wasserleitungen von Stadtwerken Basis kommunaler Daseinsvorsorge sind. Die Leistung sollte nicht kostenfrei, aber sehr wohl günstig abgegeben werden. Dafür dürfen natürlich weder Honorare in Höhe von 25.000€ für Reden des Genossen Peer Steinbrück (Hallo Stadtwerke Bochum!) noch das Sponsoring für einen Verein wie den Bayern München in die Mischkalkulation eingehen, wenn man zu 30% in staatlicher Hand ist (Hallo Telekom!). 
Foto: Patrick Kranefeld

Zur Offenlegung muss ich zwar nicht, aber will ich natürlich erwähnen, dass ich genau mit diesem Modell mein Geld verdienen möchte. Einer meiner Lieblingskunden sind die Stadtwerke Marburg, die für die Bürgerinnen und Bürger in den bislang "weißen Flecken" die modernsten, heute verfügbaren Glasfaserfaseranschlüsse realisiert haben (FTTH in Point-to-Point-Netzstruktur). Damit können sie den Bandbreitenbedarf für Bürger und ansässige Unternehmen für die nächsten 30 Jahre decken.

Bei mir zuhause bieten Anbieter wie Telekom, NetCologne (siehe Beitrag zum Internet im Kölner Süden) oder Unitymedia "nur" Glasfaser bis zum Straßenverteiler. Danach geht es bei FTTC/VDSL und HFC-Kabelnetzen per Kupferdraht weiter.  Dieser Technik geht in Sachen Bandbreite schon viel früher in Sachen Bandbreite die Luft aus als bei FTTH. Dazu verbraucht die aktive Technik auf der Straße mehr Strom als an einem zentralen Punkt. Was passiert also in 10 Jahren? Dann bauen sie das, was die Betreiber von FTTH-Netzen schon heute gebaut haben. Das was QSC schon 2012 mit den Stadtwerken in Herne gebaut hat.

Sie bezahlen es also eigentlich doppelt. Warum machen sie sowas? Weil sie aktuell für die alte Technik auch noch Fördergelder bekommen. Wenn Vater Staat und Mutter Europa kurzsichtige Mehrausgaben fördern, sind sie betriebswirtschaftlich wieder in Ordnung.

Aber damit ist das Internet schon wieder nicht kostenlos, sondern wird eben aus Gemeinschaftskassen quersubventioniert. Kassen, die dann für wichtige Dinge wie Erziehung, Schule oder Weiterbildung weniger Geld übrig haben.

Lasst Euch also nicht für dumm verkaufen. Lasst Euch günstige und seriös finanzierte Internetzugänge verkaufen. Und wenn es die nicht gibt, fordert sie bei Euren Städten und Gemeinden ein. Und wenn die kompetente Partner für die Umsetzung brauchen dann ... ach nee, ich bin hier ja gar nicht im Corporate Blog unterwegs. Also bleibt die Werbetrommel hier stumm.
Ich schaue mir lieber weiter "kostenlose" und "objektive" Produktinformationen meiner Lieblings-Youtuber an:


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